Europas erste Kunststunde

Geburt der Kunst – Die Chauvet-Grotte in der Ardèche
Die Vorfahren der heutigen Europäer fertigten bereits vor mehr als 36.000 Jahren differenzierte Höllenmalereien in der Grotte-Chauvet in der Ardèche an.

Dass die Höhle überhaupt entdeckt wurde, ist einem Team privater Höhlenforscher aus der Ardèche zu verdanken. Ein Luftzug hatte sie verleitet noch einmal zu dieser Felsnische zurückzukehren. Seit mehr als zehn Jahren kannten sie »diesen Hauch«, wie auch andere Höhlenforscher – doch sie gingen ihm mit Hammer und Meißel Zentimeter um Zentimeter nach und schufen eine enge Passage. Es war Jean-Marie Chauvet (nach dem später die Grotte benannt wurde), der darauf bestanden hat, an dieser Stelle zu graben, um diesen erstaunlichen Fund zu machen.
So krochen und robbten sie leicht bergab und Kopf voran über sieben Meter bäuchlings durch den engen Tunnel, ohne zu wissen, ob die Mühe lohnt. Ein Höhlenforscher gibt sich auch mit wenig zufrieden, ein unbekannter Stollen, ein paar Tropfsteine, eine außergewöhnliche Färbung begeistern ihn, wenn er »der Erste sein kann«, der seinen Fuß hineinsetzt. Am Sonntag, den 18. Dezember 1994, aber wurden die drei überreich belohnt: Sie landeten in einer riesengroßen Tropfsteinhöhle, ausgeschmückt mit Hunderten von Felsmalereien.
»Wir haben gleich die Schuhe ausgezogen und sind in Strümpfen weitergelaufen. Die Höhle ist umwerfend schön, nicht nur die Felsmalereien, auch die Tropfsteine. Sie hat wunderbare Farben, überall sind Kristalle, es glänzt und glitzert, außerdem ist sie riesengroß, das macht sie noch schöner. Ihr Anblick ist atemberaubend.«

Eliette Brunel – eine der drei Höhlenforscher – hatte ein paar Plastikplanen im Keller. Beim zweiten Besuch am folgenden Wochenende rollten die drei Höhlenforscher vor jedem Schritt Schutzfolien aus. Heute führt ein schmaler Metallsteg durch die Grotte, er folgt exakt dem Pfad, den die »Erstbegeher« damals nahmen.
Wir haben sofort begriffen, dass die Malereien älter waren als alles, was zumindest hier in der Ardèche entdeckt worden war. Wir kannten die Malereien aus dem Solutréen, also aus dem Jungpaläolithikum vor rund 20.000 Jahren. Was uns hier sofort ins Auge sprang, waren die »roten Wollnashörner «. In den anderen Grotten sind »keine Rhinozerosse, sie waren wahrscheinlich schon ausgestorben«, als die Zeichnungen dort entstanden sind. Unsere Vermutung hat sich später als richtig erwiesen: Die Höhle wurde auf etwa 35.000 Jahre datiert, das hat selbst die Fachleute überrascht. Ein großes Glück ist auch, dass die Menschen hier mit Holzkohle gemalt haben – deshalb war die direkte Datierung mit der Radiokarbonmethode möglich.

Die Vorfahren der heutigen Europäer waren vor ungefähr 40.000 Jahren aus Afrika und dem Nahen Osten eingewandert. Die kalibrierte C-14-Datierung der Felsmalereien in der Chauvet-Höhle ergibt später ein Alter von mehr als 36.000 Jahren . Sie stammen somit aus dem Aurignacien – der frühesten archäologisch gesicherten Steinzeit-Kultur in Europa.
Vor der Entdeckung der Chauvet-Höhle waren in Europa vor allem die Felsmalereien von Altamira und Lascaux berühmt.

In der Höhle angekommen, erblickten Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel und Christian Hillaire dort in der Felswand über ihnen dieses große, grüne Dreieck aus Pflanzen? Darüber erkennt man eine schräg verlaufende Spalte. An ihrem Fuß liegt der heutige Eingang zur Chauvet-Höhle. In der Steinzeit öffnete sich die Höhle aber zu einer riesigen Vorhalle, die 18 Meter breit und gut zehn Meter hoch war. So hatte man damals den Eindruck, der Fels habe ein Maul. Die Höhle und der Pont d´Arc waren für die Menschen der Steinzeit wichtige Orientierungspunkte. Die Felsbrücke war außerdem ein Knotenpunkt, weil sie Menschen und Tieren ermöglichte, den Fluss bequem zu überqueren, vermutlich war sie auch ein Versammlungsort. Die Höhle war jedenfalls von weitem sichtbar. Heute ist sie unsichtbar.

Der Weg führt steil bergan, vorbei an großen Felsbrocken – Reste der »Vorhöhle«, die in drei Etappen herab gestürzt ist. Geomorphologen haben die Konzentration von Chlor-36-Isotopen an den Abbruchstellen ermittelt. Sie entstehen durch den Einfluss kosmischer Strahlung. Anhand ihrer Zerfallsrate wurde der Zeitpunkt der Steinschläge datiert. Der letzte Abbruch ereignete sich vor rund 22.000 Jahren, sagt Dominique Baffier – wissenschaftliche Archäologin. Der Abruch hat die Höhle vollständig verschüttet.

Menschen und Tiere konnten sie nicht mehr betreten. Außerdem – was sich als ein großes Glück erwies – war sie vor klimatischen Schwankungen geschützt. Die Temperatur im Inneren der Chauvet-Höhle liegt das ganze Jahr hindurch bei 13 Grad Celsius.

Für die Wissenschaftler ist die Chauvet-Höhle ein wahres Naturkundemuseum: Sie haben Knochen und Skelette von 200 Höhlenbären gefunden, einige enthalten noch Erbmaterial. Wenig später starb der Höhlenbär aus. Doch die Felszeichnungen liefern erstaunlich präzise Informationen, wie er aussah. Im Unterschied zum heutigen Braunbären hat er einen Kopf mit steil ansteigender Stirn und einen kleinen Fettbuckel auf der Schulter.
Die Menschen vor 36.000 Jahren beherrschten die Malerei. Ihre Kunst ist perfekt. Aber jetzt stehen wir vor einem ernsten Problem: Wo liegt der Ursprung der Kunst?



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